Compliance und Automobilhersteller


Prolog:
„Klar ist: Volkswagen duldet keine Regel- oder Gesetzesverstöße jedweder Art.“
Der damalige VW-Chef Martin Winterkorn nach Bekanntwerden der Abgasmanipulationen in den USA am 20. September 2015.

Compliance-Berichte deutscher Automobilhersteller in den Jahresabschlüssen 2018

Im Folgenden werden die Compliance-Berichte der drei Automobilhersteller BMW, Daimler und VW analysiert. Der Umfang der Berichte bewegt sich zwischen drei (Daimler) und vier Seiten (BMW und VW). Allerding fügt Daimler noch eine Erweiterung über Antikorruption-, Antitrust-, Technical-, Daten-, Anti Financial Crime- und Menschenrechts-Compliance an. Diese Spezialteile bleiben bei dieser Analyse außen vor. Der Dieselskandal ist noch nicht ausgestanden; die Feinstaub-Debatte ebenso wie die Diskussion um das Dieselfahrverbot geht weiter. Dennoch findet man dazu nur im Compliance-Bericht von VW einen Hinweis unter der Bezeichnung „Dieselthematik“, die zu einem erheblichen Vertrauensverlust beigetragen habe. Die Compliance-Organisation der Hersteller wurde – vielleicht unter dem Einfluss des Dieselskandals – in der Zwischenzeit neugestaltet.

Alle Berichte beginnen mit einem Bekenntnis zur Compliance.

„Unser Anspruch ist es, dass weltweit alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Aufgaben stets im Einklang mit den gültigen Gesetzen, Regeln, freiwilligen Selbstverpflichtungen und unseren Werten erfüllen (Quelle 1).

An späterer Stelle wird bei VW dazu ausgeführt, dass kriminelle Handlungen Einzelner niemals vollständig verhindert werden können. Das ist eigentlich selbstverständlich. Es ist aber die Frage, ob kriminelle Handlungen mehrerer Personen auch nicht zu verhindern sind.

Organisatorische Einbindung von Compliance

Der Anspruch auf Compliance wird durch eine entsprechende organisatorische Gestaltung gestützt. So hat VW seit April 2017 den eigenen Bereich Group Compliance gebildet, der eine direkte Berichtslinie an den Vorstand für Integration und Recht besitzt und zudem an den Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats berichtet (Quelle 2). Die Compliance-Organisation umfasst divisionale und regionale Compliance-Büros. Zudem wurde das Group Compliance Committee unter dem Vorsitz des Vorstands für Integrität und Recht gegründet. Angaben zum Umfang des Committees enthält der Bericht nicht. BMW hat ebenfalls vor mehreren Jahren ein Compliance Committee eingerichtet und die Einführung eines Compliance Management-Systems in die BMW Group veranlasst.

Das Committee setzt sich zusammen aus den Leitern der Bereiche Recht und Patente, Konzernkommunikation und Politik, Konzernrevision, Konzernberichtswesen, Organisationsentwicklung sowie Konzernpersonalwesen. (Quelle 3). Damit sind alle relevanten Bereiche in diesem Committee vertreten. Das Compliance Committee berichtet regelmäßig an den Vorstand und an den Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats. Das Group Compliance Committee Office ist mit 14 Personen besetzt. Im Jahr 2017 wurde die Einrichtung von 72 lokalen Compliance-Funktionen abgeschlossen, das mit einem Netzwerk von 210 Compliance-Verantwortlichen verbunden ist.

Die Compliance-Organisation von Daimler ist divisional und regional aufgestellt. Für die Unterstützung der Geschäftsfelder steht jeweils ein funktionaler, divisionaler oder regionaler Ansprechpartner zur Verfügung. Die Compliance-Verantwortlichen aus diesen Bereichen berichten an den Chief Compliance Officer, wodurch die Unabhängigkeit von den Geschäftsfeldern gesichert werden soll. Der Chief Compliance Officer berichtet direkt an das Vorstandsmitglied für Integrität und Recht sowie an den Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats. Regelmäßig wird der Vorstand der Daimler AG über den Status des CMS und dessen Weiterentwicklung informiert. Die Anzahl der beschäftigten Mitarbeiter im Compliance-Bereich wird nicht genannt.

Mit der Bezeichnung Integration und Recht für das Vorstandsressort wird deutlich, dass nicht nur die Durchsetzung der Compliance mit Sanktionen betrieben werden soll, sondern die Integrität der Mitarbeiter ebenfalls im Fokus steht. Compliance wird von der organisatorischen Einbindung hohe Bedeutung zugemessen, was durch die Berichtslinie an den Vorstand und den Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats zum Ausdruck kommt.

Training der Mitarbeiter

Im Nachfolgenden werden die Bestandteile des Compliance Management-Systems beschrieben, das mehr oder weniger nach dem PS 980 oder dem ISO 19600 behandelt wird. Die Aussagen sind dazu unterschiedlich konkret. So betont VW, dass 2017 219.000 Beschäftigte in unterschiedlichen Formaten zu Compliance-Themen geschult wurden. Daneben erfolgten zielgruppenspezifische Schulungen. Innerhalb einer Volkswagen Convention „Integrität, Kultur und Compliance“ wurden 7.300 Mitarbeiter- und Führungskräfte mit dem Veränderungsprozess bei Volkswagen vertraut gemacht.

Bei BMW wurden weltweit über 41.000 Führungskräfte und Mitarbeiter über die Grundlagen von Compliance geschult. Das Training enthält einen Abschlusstest. Die erfolgreiche Teilnahme an dem Training wird durch ein Zertifikat bescheinigt, dass für alle Führungskräfte von VW verpflichtend ist. Bei Neueinstellungen und Beförderungen von Führungskräften ist das Compliance Training Standard. Daneben werden zielgruppenspezifische Trainingsmaßnahmen zu bestimmten Themen, wie Kartellrechts-Compliance durchgeführt. Seit 2011 wurden insgesamt 24.000 Führungskräfte und Mitarbeiter durch Online-Schulungen mit diesen Themen vertraut gemacht. Präsenzschulungen erfolgten 2017 für insgesamt 1.900 Führungskräfte und Mitarbeiter, die an Austauschtreffen mit Wettbewerbern teilnehmen. Spezielle Compliance Market Coachings waren Gegenstand bei internationalen Vertriebs- und Finanzpartnern.

Bei Daimler steht ein webbasiertes zielgruppenorientiertes Trainingsprogramm zur Verfügung, das modular aufgebaut ist und neben einem Basisprogramm auch ein spezifisches Model für Führungskräfte enthält. Die relevanten Module sind bei der Einstellung, Beförderung oder bei einem Wechsel zu absolvieren. Regulär muss das Programm alle drei Jahre absolviert werden. Ergänzt wird das Trainingsangebot durch Präsenzschulungen. 2018 gab es bei Präsenz- und webbasierten Trainings insgesamt rund 220.000 Teilnehmer. Angeboten werden darüber hinaus zielgruppenspezifische Qualifizierungsmaßnahmen. Alle neuen Mitarbeiter erhalten eine umfassende Einführung im Rahmen des Einführungs-Programms.

Die umfangreiche Schilderung der Schulungsmaßnahmen bei allen drei Unternehmen zeigt die Bedeutung auf, die diese Unternehmen der Schulung der Mitarbeiter hinsichtlich Compliance beimessen. Damit möchte man wohl auch dem Vorwurf entgegentreten, es werde nicht genug getan, um wirtschaftskriminelles Verhalten zu unterbinden. Allerdings sagt die Schulung nichts über den Erfolg der Schulungsmaßnahme aus. Hier müsste ein Absinken doloser Handlungen durch Führungskräfte und Mitarbeiter festzustellen sein. VW verfolgt eine Compliance-Kennzahl „Regeleinhaltung, Prozesssicherheit und Fehlerkultur“.

Die Kennzahl basiert auf der Auswertung von Antworten zu Fragen bezüglich des Stimmungsbarometers zur Einhaltung von Regelungen und Prozessen. Diese Kennzahl verbesserte sich 2017 auf 79,67 % zu 79,03 % in 2016. Ob damit eine deutliche Verbesserung eingetreten ist, kann aus den Zahlen für die Jahre 2016 und 2017 nicht abgeleitet werden.

Hinweisgebersystem

Dem Hinweisgebersystem wird bei allen drei Unternehmen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Bei Daimler ermöglicht das Hinweisgebersystem weltweit Beschäftigten und externen Hinweisgebern, Regelverstöße zu melden. Mit einer weltweit gültigen Konzernrichtlinie wird das Ziel verfolgt, eine faire und transparente Vorgehensweise zu ermöglichen, die sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für den Betroffenen als auch den Schutz des Hinweisgebers berücksichtigt. In 2018 wurden 89 Fälle neu angelegt und 101 Fälle geschlossen, davon 60 als zutreffend. Die wirtschaftskriminellen Handlungen bestanden in Korruption, Diebstahl, Untreue und Bereicherungsdelikten sowie Schadensfällen über 100.000 €.

Bei BMW wird den Mitarbeitern – offensichtlich nicht externen – die Möglichkeit gegeben, Hinweise auf mögliche Rechtsverstöße im Unternehmen anonym und vertraulich abzugeben. Diese Telefon-Line ist in sämtlichen Ländern, in denen BMW Mitarbeiter tätig sind über lokale kostenfreie Rufnummern in 34 Sprachen zu erreichen. Die Anfragen und Hinweise werden vom Compliance Committee Office dokumentiert und bearbeitet. Nähere Angaben zu Art und Umfang der Fälle finden sich hier nicht.

VW versteht unter einem Hinweisgebersystem sowohl die internen als auch die externen Anlaufstellen, bei denen Mitarbeiter und Externe Hinweise zu potenziellen schweren Verstößen melden können. Dieses Hinweisgebersystem wurde bereits 2006 bei VW eingeführt und im Jahr 2017 verbessert und teilweise neu geordnet. Zum 1. November 2017 erfolgte nochmals eine Optimierung des Verfahrens, um Hinweisen schneller, fairer und transparenter nachgehen zu können. Durch die Neugestaltung des Hinweisgebersystems 2017 wurde eine konzerneinheitliche Handhabung erreicht. Konzernweit wurden 2017 1.489 Hinweise registriert. Weiterhin heißt es dazu lapidar, dass bei allen substantiierten Hinweisen Untersuchungen durchgeführt werden und festgestelltes Fehlverhalten sanktioniert wird.

Fasst man diese drei Bestandteile nochmals zusammen, dann wird die Bedeutung von Compliance durch die organisatorische Einbettung unterstrichen. Zudem werden alle Mitarbeiter regelmäßig hinsichtlich Compliance geschult. Durch das konzernweite Hinweisgebersysteme hat jeder Mitarbeiter die Möglichkeit Auffälligkeiten oder Fehlverhalten zu melden. Wie konnte es dann zum „Dieselskandal“ kommen, wenn unterstellt wird, es handele sich nicht nur um das Fehlverhalten einer einzigen Person, was nicht aufrechterhalten werden kann. Mehrere Personen waren beteiligt und keiner hat einen Hinweis auf das Fehlverhalten gegeben. Deshalb die Frage, ob die Mitarbeiter insgesamt so „mutig“ sind, eine Meldung über Fehlverhalten abzugeben, und ob im Konzern wirklich ein Interesse daran besteht, dass eine Vielzahl von Meldungen über das Hinweisgebersystem eingehen.

Couragiertes Handeln von Whistleblowern

Das Geben von Hinweisen ist mit Risiken verbunden. Whistleblower sind bereit, moralische Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen und setzen sich der Gefahr von Repressalien aus. Damit ist eine besondere Form von Mut gefordert, weil existenzielle Risiken und Abhängigkeiten die Folge sein können. Es erfordert schon ein gerütteltes Maß an Zivilcourage, eine Meldung abzugeben, die nicht unmittelbar auf das Wohlwollen der Empfänger trifft. Sieben Konfliktlagen sind dafür verantwortlich, dass ein Mitarbeiter zum Whistleblower wird:

• Der Arbeitgeber erwartet vom Arbeitnehmer, dass er gegen berufliche Standards verstößt, z.B. im Interesse von Auftraggebern.
• Nach einem Schadensfall sollen Informationen gegenüber Behörden, Untersuchungsgremien oder der Öffentlichkeit verschwiegen werden.
• Wichtige Dokumente werden unterdrückt.
• Innerbetriebliche Missstände werden vom Arbeitgeber nicht abgestellt.
• Praktiken des Unternehmens verstoßen gegen das nationale Recht.
• Internationale Abkommen oder Gesetze werden verletzt.
• Die unternehmerische Tätigkeit birgt erhebliche Gefahren gegen die Natur oder/und die Gesundheit der Menschen. (Quelle 4).

Für den Hinweisgeber entsteht nun ein Prozess der Abwägung zwischen seiner Loyalität zum Unternehmen und seiner ethischen Verantwortung. Whistleblower wollen Schäden ihrer Arbeitswelt abwenden und nehmen dafür persönliche Nachteile in Kauf. Nach einer Befragung in USA litten 77,1 % dauerhaft an Schlafstörungen, 80,7 % unter Angstzuständen, 25,6 % konsumierten häufiger Alkohol und bekamen Morddrohungen (Quelle 5). Es gibt wenige prominente Fälle, in denen der Whistleblower für sein couragiertes Verhalten ausgezeichnet wurde, weil er mutig gegen übermächtige Konzerne angetreten ist. Daneben steht die große Zahl anonym gebliebener Fälle, die immer noch auf Gerechtigkeit und Rehabilitierung warten.

Couragiertes Verhalten ist abhängig von einer Reihe handlungsleitender Einflüsse auf das Individuum. Hier kann zwischen den situativen Faktoren und den personalen Faktoren unterschieden werden. Zu den situativen Faktoren zählt das Ereignis selbst: Ist die Verletzung der Norm eindeutig und überschaubar, und welche Risiken sind mit dem illegalen Verhalten verbunden. Wichtig ist zudem die Unterstützung, die der Whistleblower über das Betriebsklima, sowie die Zustimmung und Förderung erwarten kann. Betrachtet man die personalen Faktoren, so zählt dazu das Selbstvertrauen und das Vertrauen zu anderen. Hinzu kommt die Überzeugung, etwas bewirken zu können. Entscheidend ist aber die moralische Urteilsfähigkeit des Individuums.

Organisatorische Situationen können dazu führen, dass das Individuum entmutigt wird und zum vertrauten Weg zurückkehrt, weil Bestrafung droht oder die Person benachteiligt wird. In diesen Fällen folgen die Individuen nicht mehr ihrem moralischen Kompass (Quelle 6).

Hinweisgeber sind dann wohl gelitten, wenn sie wirtschaftskriminelles Handeln von Kollegen und Mitarbeitern aufdecken. Geht es um Top Management Fraud wird ein Übermaß an couragiertem Handeln verlangt, wenn der Whistleblower die für ihn möglichen negativen Folgen bedenkt. Eine Lösung des Problems zeichnet sich hier nicht ab. Von den Überwachungsinstitutionen Aufsichtsrat, Abschlussprüfer und Interne Revision ist ein hohes Maß an intensiver Beschäftigung mit den sensiblen Vorgängen zu verlangen.

Die Compliance-Organisation sollte dafür Sorge tragen, dass auch die Unternehmensführung in ihr Betätigungsfeld einbezogen wird. Letztendlich wird immer an das ethische Verhalten der beteiligten Personen appelliert.

Quellenangaben:

Quelle 1: Vgl. Daimler: Geschäftsbericht Nichtfinanzieller Bericht, S. 217.
Quelle 2: Vgl. VW: Geschäftsbericht Corporate Governance-Bericht, S. 63.
Quelle 3: Vgl. BMW: Geschäftsbericht Compliance in der BMW Group S. 216.
Quelle 4: Vgl. Deiseroth: Zivilcourage am Arbeitsplatz – Rechtliche Rahmenbedingungen, in: Reinhold/Löhr/Blickie: Wirtschaftsbürger oder Marktopfer? München und Mering 2001, S. 108ff.
Quelle 5: Vgl. Prätorius: Zur politischen Kultur von Loyalitätskonflikten am Beispiel der “Whistleblower”; in: Korenke: Politische Deutungskulturen, Baden-Baden 1999, S. 115.
Quelle 6: Vgl. Comer/Vega: The Personal Ethical Treshold; in Comer/Vega: Moral Courage in Organizations – Doing the Right Thing at Work, New York 2011, S. 27.

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